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Luke Jerram, "Tide," 2001

Luke Jerram lebt in Bristol, England und blickt auf eine Reihe origineller wie poetischer Arbeiten zurück. Seine Installation "Tide" (Flut) spielt auf den Einfluss des Mondes an, und die 14 Meter Tidenhub im südenglischen Bristol. "Tide" setzt Schwankungen der Gravitation in ein immersives, visuelles und akustisches Erlebnis um.

Gebiete: telematik, transformation, physische Welt

Die Installation besteht aus drei grossen oben offenen Glaskugeln die mit Wasser gefüllt sind und in gleichbleibender Geschwindigkeit rotieren. Die Kugeln stehen auf technisch anmutenden, drei-beinigen Stativen und sind einige Meter voneinander entfernt.
Sie repräsentieren jeweils Sonne, Mond und Erde. Ein Reibemechanismus ist am Rand jeder Glaskugel angebracht und versetzt das Glas in schwingende Obertöne. Jedes Glas verfügt über seinen eigenen Sound und gemeinsam formen sie einen Akkord. Drei individuelle Skulpturen die zusammen ein Ganzes ergeben. Gemeinsam gestalten sie ein sichtbares und hörbares Environment. Die auf die Galerie inwirkende Gravitation, im besonderen die des Mondes, wird von einem Gravimeter gemessen und an einen Rechner geschickt. Synchron zu diesen Daten reguliert der Rechner den Wasserstand der einzelnen Gläser und beeinflusst damit ihre Klangeigenschaften. So wie die Gravitation im Laufe der Zeit zunimmt nehmen auch die Wasserstände in den Gläsern zu und passen damit den Klang der tatsächlichen Wirkung der Gestirne an. Der daraus resultierende raumfüllende Chorus erinnert an überdimensionale, "singende" Weingläser. Ergänzend dazu wird an die Wand eine Visualisation des Datenstroms projeziert, die an- und absteigende Kurve stellt die Veränderung der Schwerkraft innerhalb von 24 Stunden dar.

Image: Sandra Fauconnier

Hier und Dort, telematische Aspekte

Die telematischen Aspekte der Arbeit sind auf bedeutsame Art und Weise unklar. Eine wirklich eindeutige Verbindung zu einem entfernten Ort gibt es nicht - stattdessen geht es um das Hier und Jetzt und den nicht wahrnehmbaren Einfluss himmlischer Objekte auf unsere natürliche Umgebung. Während sich beispielsweise Ken Goldberg's “Mori” ausschliesslich auf das Hier, jenen, eindeutig bestimmten, Boden direkt unter unseren Füssen bezieht, spielt Luke Jerram's "Tide" auf den Mond oben am Himmel, die Musik der Sphären und auf die Gestirne an. Während "Mori" die von uns nicht wahrnehmbaren Bewegungen der Erde in ein visuelles und musikalisches Erlebnis transformiert besteht sein Kommunikationsziel darin, uns an der Solidität des Bodens unter unseren Füssen zweifeln zu lassen. Zudem hat Goldberg die Absicht uns für zwei technisch-epistemologische Themen zu sensibilisieren: Einmal die, die Richtigkeit der Information die der Besucher erlebt in Frage zu stellen, und zweitens die Genauigkeit seiner Instrumente zu bezweifeln. Können wir uns auf unsere Sinne verlassen? Können wir der Richtigkeit jener weit entfernten Sensoren vertrauen? "Mori" ist ein Spiel das unserer Wahrnehmung herausfordert und uns an die Illusion von Sicherheit3 erinnert. Sein wichtiger Anspruch ist eine kritische Haltung zu erwecken zu all jenen Informationen die uns von weit her erreichen, Massenmedien eingeschlossen, die uns von weit her erreichen.
Verglichen damit ist Luke Jerram's "Tide" vor allem über den Mond dort oben und erst im Anschluss daran über die Erde und den Einfluss des Mondes auf sie. Dieser Einfluss folgt einem zirkulären, vorhersagbaren Rhythmus, Ebbe und Flut. Ein Rhythmus dem viele natürlichen Kreisläufe auf der Erde unterliegen und von dem unser Begriff "Monat" abstammt.
"Tide" ist somit weniger eine beunruhigende Aussage über die Genauigkeit unserer Instrumente im Vergleich zu unseren Sinnen, oder die fragile Beständigkeit unserer Welt, denn ein einfallsreiches, fantasievolles Raum- und Klangerlebnis das den Makrokosmos auf eine humane mikrokosmische Dimension transformiert.
Ebenso wie der Besucher den Raum zwischen den klingenden Gläsern durchschreitet, bewegen sich die makrokosmischen Körper Mond und Erde durch den Raum unseres Sonnensystems. Dieser akustische Raum spielt auf Kepler's "Klang der Sphären" an, schwingt um den Besucher herum und entfaltet seine immersive Qualität indem er sie mit den Himmelskörpern verbindet die sonst ausser Reichweite liegen.

Transformation & Spatialität in Tide

Obwohl eine Kurve als visuelles Hilfmittel auf die Wand projeziert wird ist die Installation zuallerest ein Raumerlebnis und körperliche Erfahrung. Sie ist immersiv und räumlich. Transportation, der Effekt "an einen anderen Ort transportiert zu werden" spielt keine Rolle. Der Besucher hat nicht den Eindruck seine unmittelbare Umgebung zu verlassen. "Tide" handelt vom hier und jetzt und spielt auf die nicht wahrnehmbaren Kräfte von Sonne und Mond an.
Die Schwerkraft beeinflusst die physischen, greifbaren Wasserpegel in den Gläsern (die feine blaue Linie) die wiederum die Klanghöhe des resultierenden Klang beeinflusst (gepunktete schwarze Linie). Strenggenommen finden zwei Transformationen statt: Von Gravitation zu Wassermenge und von Wassermenge zu Klang.

In "Tide" besteht keine Verbindung zu einem entfernten Ort, doch wird auf die nicht wahrnehmbaren Kräfte Sonne und Mond, angespielt die nicht nur den Ausstellungsraum sondern die ganze Erde mit ihrem Einfluss durchdringen.

Transformation, multimodales-mapping

Der transformative Aspekt findet auf zwei Ebenen statt; Als visuell und abstrakte Kurve die auf die Wand projeziert wird und Änderungen der Schwerkraft, d.h. der Flut, in 24 Stunden darstellt - und in Form der physischen, gläsernen Gefässe an sich, in ihrer technischen Anmutung, sowie als Klangquelle. Während die Besucher dem Klang der Sphären zuhören und verstehen wie dieser zustandekommt erleben sie die transformation des unverständlichen Code's des Live-Datenstroms des Gravimeter's zu Klang, zu durchdringende, sich vermischende Klangschichten harmonischer Obertöne. Dies resultiert in einem intensiven, sinnlichen Raumerlebnis kosmischer Dimension.

In "Tide" verbinden sich künstlerische und wissenschaftliche Sichtweisen zu einem Ganzen. Einerseits ist die Installation ein astronomisches Instrument in der langen Tradition technischer Instrumente zur Erweiterung der menschlichen Sinne und der Erlangung von Wissen, wie dies etwa das Mikroskop oder das Teleskop tun. Andererseits lassen seine Sinnlichkeit und der Mangel an Genauigkeit mehrdeutige Interpretationen zu, ansonsten künstlerische Qualitäten. In diesem Sinne ist die Installation exemplarisch, trifft sie doch genau den Punkt wo sich "techné," "Kunst" im klassischen Sinne und Technologie wieder begegnen.
Gleichzeitig ist "Tide" eine immersive Medieninstallation die die Sinne besticht und eine tiefe Verbundenheit mit der Umwelt erzeugen kann, ein intensives Erlebnis sinnlicher Wahrnehmung das auf mysteröse, nicht-wahrnehmbare natürliche Kräfte anspielt die uns umgeben; Ein erweiterter reflektierender und kontemplativer Zustand der Wahrnehmung unserer unmittelbaren, physischen Welt.
Ebenso ist "Tide" mehr ein die Vorstellungskraft fordernde als transparentes Werk. Der Besucher benötigt Wissen um das Erlebnis angemessen begreifen zu können. Wo nicht wahrnehmbare Änderungen der Schwerkraft in wahrnehmbares, sinnliches Erlebnen transformiert werden hat der Besucher keine Möglichkeit die Genauigkeit dieser Transformation zu überprüfen. Sie muss dem Künstler vertrauen und begründete Zweifel bewusst ausser acht lassen um das Werk zu geniessen. Ebenso muss sie dem Künstler vertrauen das die Black-Box, das Arrangement aus Computern, Kabeln und Gravitometer tatsächlich das leisten was sie behaupten zu messen: Gravitation. Dieser Computergestützte Prozess ist nicht transparent, ein Interface oder Interaktion steht nicht zur Verfügung, und somit könnte sich alles auch um eine reine Simulation handeln. Unseren Sinnen können wir in diesem Fall nicht trauen - und doch, um es geniessen zu können müssen wir an seine Authenzität glauben können. Zur Unterstützung dieses Gefühls von Unmittelbarkeit ist das Gravitometer direkt im Ausstellungsraum platziert und kein Datenstrom von einem entfernten Ort.
Da der tägliche Wechsel zwischen Ebbe und Flut überwiegend vom Mond erzeugt wird erinnert die Installation auch an den Mond wenn dieser nicht am Himmel zu sehen ist. Dies kann entweder am Tag sein, während des Neumonds, wenn Wolken die Sicht behindern oder der Mond sich unterhalb des Horizonts befindet.
Obwohl die Installation einen anspruchsvollen technischen Hintergrund hat, wird sie nicht nur als ein einzigartig poetisches Statement über den Mond aufgefasst, (mit all den dazugehörigen romantischen Assoziationen), sondern sie ist tatsächlich vom Mond gesteuert, ein Obertonchor der buchstäblich vom Mond gesungen wird - und für den Besucher vom Künstler sinnlich erfahrbar gemacht wird.
Von einem Design Aspekt trägt das konzeptionelle mapping von rotierendes Planeten zu rotierenden Gläsern, die zudem zur Ursache des Klangs der Sphären werden, zu dieser holistischen Qualität zwischen Inhalt und Form bei.

Die Werte des folgendes Diagramms "Transformation" sind inzwischen mit dem Diagramm "Transformation und Spatialität" (oben) zusammengefasst worden.

Zusammenfassung:

Aus Sicht dieses Forschungsprojekts ist "Tide" aus mehreren Gründen von Interesse. Obwohl sein komplexer technischer Hintergrund Besuchern kaum transparente Einsicht in die eigentlichen Wirkunsweise zubilligt kann es als ein wissenschaftliches Instrument klassischer Tradition gesehen werden. Dazu gehört das "Tide," obwohl sehr technisch in Aufbau und Hintergrund, gleichzeitig zutiefst romantische, poetische und weit themenübergreifende Aspekte hat.
Die Installation benutzt Transformation von einem Medium - Schwerkraft - in ein anderes - Sound, das uns vorübergehend gestattet eine uns umgebende elementare, allgegenwärtig Kraft auf neue Art zu begreifen und zu vergegenwärtigen.
Ebenso hat sie bis zu einem gewissen Grad telematische Qualitäten da sie in Echtzeit auf entfernte Objekte, Sonne und Mond, reagiert.
Schliesslich fordert sie auch unser Vertrauen heraus da die Technologie an sich eine Black-Box ist und nicht transparent. Wir wissen nicht genau ob und wie die Installation funktioniert und müssen dem Künstler vertrauen das tatsächlich Gravitometer und Computer die Installation zuverlässig steuern und die Daten genau transformiert werden. Der Besucher muss mögliche Zweifel unterdrücken um völlig in den Genuss des Werkes kommen zu können. Technologie, Transformation, Telematik und unsere natürliche Umwelt kommen in diesem Werk zu einem harmonischen und poetischen Ganzen zusammen.

1. http://www.lukejerram.com accessed March 29th, 02006
2. http://lukejerram.com/installations/tide.htm accessed March, 26th 02006
3. Mettler, Peter (2002), “Gambling, Gods and LSD” , die 180 Minuten lange Dokumentation erforscht vier urmenschliche Themen: "das menschliche Streben nach Transzendenz und Bedeutung, die Leugnung des Todes, die Illusion der Sicherheit und unser Verhältnis zur Natur." IMHO ein sehr profundes, poetisches und tiefschürfendes Werk. Ein neues "Sans Soleil" für das neue Jahrtausend. http://www.gambling-gods-and-lsd.ch

Der Kreislauf des Mondes um die Erde, 2006-2007

Ein Quicktime movie das die Spirale darstellt die der Mond um die Erde zieht. Natürlich ist diese Spirale Ergebnis einer relativen Sicht und hängt von Standpunkt ab. Von einer solaren Perspektive aus erscheint die Bewegung kreisförmig.
Mehr dazu hier: [url http://www.math.nus.edu.sg/aslaksen/teaching/convex.html http://www.math.nus.edu.sg/aslaksen/teaching/convex.htm

Der Lauf des Mondes in einem Jahr (lokale Darstellung) (1.0 MB)

Die Bewegung des Mondes in einem Monat (Globale Perspektive) (1.2 MB)

letzte Änderungen: 4.6.02010 18:35

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