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Was ist nun ein PhD in Kunst und Design?

Zuerst einmal ist der Doctor of Philosophy (Ph.D.) wohl das als was ihn die Studienordnung eines Promotionsstudiengangs deklariert. In der Regel also ein mindestens drei-jähriges Forschungsprogramm (Vollzeit) in dessen Verlauf der Nachweis erbracht wird, innerhalb einer bestimmten Disziplin, eigenständig wissenschaftlich arbeiten zu können. Zum Abschluss wird eine schriftliche Dissertation eingereicht, deren Umfang je nach Institution zwischen 30.000 - 60.000 Worten liegt. Diese Dissertation wird anschliessen mündlich vor Experten des Fachgebiets in einer ‘Viva’ ‘verteidigt’, dies, je nach Institution, öffentlich oder nicht-öffentlich. Dies ist von Institution zu Institution verschieden und ist in der Promotions- bzw. Prüfungsordnung festgehalten.
In der Regel ist eine Anforderung das die Dissertation einen originären Beitrag zum Wissenskanon der Disziplin enthält, d.h. über das derzeit bekannte Wissen hinausgeht und neues Wissen beiträgt. Forschung ist die Suche nach neuen Erkenntnissen.

Der praxis-geleitete Ph.D.

In Kunst und Design können seit den 1980er Jahren praktische Arbeiten einen Teil der Promotionsarbeit darstellen. Dies orientiert sich auch an der Bewertung dieses Praxis-Anteils. Bei der praxis-geleiteten Promotion wird die praktische Arbeit in der Regel zusammen mit der ‘Viva’ präsentiert. Diese praktische Arbeit sollte von überdurchschnittlicher Qualität sein da sie mit 50% zur Bewertung beiträgt. Für Theorie oder Praxis alleine gibt es keinen Ph.D., selbst wenn diese sehr komplex und wissenschaftlich ausgerichtet sind.
Worin sich eine traditionelle schriftliche Promotion und ein Ph.D. grundsätzlich unterscheiden ist die Form in der Forschung stattfindet. Während in der traditionellen Promotion die Forschung aus der Entwicklung einer Theorie und Arguments in Form eines Textes besteht, besteht beim Ph.D. hingegen die Forschung zu gleichen Teilen aus praktischem Tun, d.h. aus dem Entwurf einer Arbeit, deren Ausführung und Dokumentation sowie einem gleichwertigen schriftlichen Teil. Der Text basiert auf der Grundlage der künstlerischen oder gestalterischer Praxis und begleitet diese in Form einer wissenschaftlich-forscherischen Reflexion. Theorie und Praxis informieren sich gegenseitig. Der Text macht explizit was implizit in der praktischen Arbeit enthalten ist, während die Theorie zum Teil aus der praktischen Forschung erwächst. Oft wird der theoretische Teil erst begonnen nachdem die praktischen Arbeiten beendet sind. Praxis-geleitete Forschung in Kunst und Design ist echte Forschung im Sinne das zu Beginn der Ausgang und die Ergebnisse nicht bekannt sind, und wir ständig bereit sein müssen unsere auf Vermutungen basierenden Annahmen völlig zu überdenken, zu lernen und uns von unseren neuen Erkenntnissen leiten zu lassen. Der Forschungsprozess ist ein Lernprozess!

Design ist keine Wissenschaft

Wissenschaft forscht daran die Welt wie sie ist zu erklären, Forschung in Kunst und Design zielt meistens darauf Zustände die in der Zukunft liegen zu ändern. Manche Forscher werden zu Designern indem sie ihre Instrumente selber entwickeln müssen. Designer betätigen sich gelegentlich auch als Forscher indem Sie durch ihre Arbeit zu neuen Erkenntnissen gelangen, leider werden diese von ihnen jedoch nur selten systematisch dokumentiert und veröffentlicht.
Forschung beginnt mit einer Forschungsfrage. Dies sollte auch in Kunst und Design nicht anders sein. In der Dissertation schliesst sich die Darstellung an, warum diese eine Frage ist die wert ist gestellt zu werden, sowie welche Methoden aus welchem Grund ausgewählt wurden um die Frage(n) zu erforschen. Im Laufe der Forschung werden auch Forschungsprobleme auftreten, jedoch bereits am Anfang 'das Problem' zu bennen kann verhindern das die Forschungsfrage offen und unvoreingenommen nachgegangen werden kann. In der bezeichnung des Forschungsproblems ist bereits eine bestimmte Perspektive enthalten die andere mögliche Sichtweisen ausschliesst. Wie findet man eine angemessene Forschungsfrage? Oft sind es die ganz einfachen Fragen die nur schwer zu beantworten sind.
In den 1960er Jahren gab es eine Strömung in der Designforschung, zum Teil beeinflusst durch die Kybernetik, Designmethoden zu entwickeln die unter anderem darauf abzielten den Entwurfsprozess in Variablen zu gliedern und zu systematisieren und z.B. durch messbare Gestaltungsmuster oder Algorithmen zu rationalisieren, diese Strömung verlor jedoch Anfang der 1970er Jahre Ihre Befürworter. Dies könnte man als Einsicht werten das das Erkennen und lösen von Problemen eher Kreativität, Intuition und Erfahrung erfordert und weniger ein rationales, regelbasiertes Vorgehen.
Christopher Alexander äusserte sich dazu 1971 besonders kritisch: “Ich [werde] gefeiert als einer der führenden Vertreter dieser sogenannten Design-Methoden. Es tut mir sehr leid das dies geschehen ist und ich möchte öffentlich bekannt geben das ich die Idee von Design-Methoden als ein Forschungsthema ablehne, da ich denke das es absurd ist die Erforschung des designens von der Praxis des Design zu trennen.” (de Vries (et.al.), 1993, p.273) (Übersetzung des Autors)

Aufbau der Dissertation

John Langrish, der über 60 PhDs in verschiedenen Ländern betreut hat, schreibt (Langrish, 2007) das im Grunde der Aufbau einer Dissertation völlig klar sei. Jede Ph.D. Dissertation setze sich aus vier Teilen zusammen: Zuerst einem Überblick über das relevante Gebiet d.h. was andere geleistet haben. Ein Teil Methodologie mit dem demonstriert wird das man mit Methoden vertraut sei. (Methoden sei das was man tue. Methodologie sei wissen um Methoden.) Drittens: Was man tatsächlich getan habe, d.h. die Ergebnisse dessen was man entdeckt habe. Dem folgten Schlussfolgerungen, was diese Erkenntnisse bedeuten und warum dies Wissen relevant sei und einen Unterschied mache. Es obliegt also dem Doktoranden klarzustellen woraus der originäre Beitrag zum Wissenskanon besteht. Dies heisst die Dissertation selbst sollte jene Kriterien enthalten nach denen die Arbeit bewertet wird, bzw. ob die ursprünglich gesteckten Ziele erreicht wurden und die Methodologie angemessen war.
Um das Kriterium der Originarität zu belegen, gehört in der Regel ein Überblick bzw. eine Kontextualisierung aus verschiedenen Perspektiven dazu. Oft wird dieser Teil der Dissertation auch als die “Literaturrecherche” oder “Literaturübersicht” bezeichnet, in der Praxis-geleiteten Promotion jedoch schliesst dies auch praktische Arbeiten mit ein, die ‘Recherche’ belegt was andere relevantes gemacht haben, nicht nur was geschrieben wurde. Hier ginge es darum den aktuellen Stand des Forschungsgebietes darzustellen. Auf dieser Übersicht relevanter Arbeiten baut die eigene Arbeit auf bzw. man positioniert die eigene Arbeit innerhalb des aktuellen Wissensstandes. Und sollte belegen womit diese Forschungsarbeit jenen um neues Wissen erweitert. Die Funktion hiervon ist nicht nur zu belegen das man mit dem aktuellen Stand der Diskussion, Technik und Methoden vertraut ist sondern soll auch verhindern das Rad neu zu erfinden. Das heisst, sie belegt klar und deutlich woraus genau der originäre Beitrag zum Wissensstand der Disziplin besteht. Um neues Wissen zu erzeugen braucht man eine Methodologie und Beweise.
In der Praxis-geleiteten Promotion ist dieser Aufwand eine umfassende Übersicht zu erstellen meiner Ansicht nach ein dreifacher: Es gilt relevante historische und aktuelle praktische Arbeiten zu recherchieren, zweitens relevante Theorie zum Thema zu recherchieren (d.h. was wurde über derartige Arbeiten wissenschaftliches geschrieben) mit dem Ziel einen kritischen theoretisch-methodologischen Rahmens zu bilden, und drittens Texte zur Praxis mit einzubeziehen die sich z.B. auf bestimmt Konventionen, Techniken, Herstellungsverfahren, Prozesse oder Methoden beziehen. In der Regel kommen in diesem methodologischen Teil auch oft noch eine Übersicht und Diskussion konkreter Methoden (Methoden sind etwas das was man tut, z.B. Visuelle Methoden, Action Research, Participatory Design, Co-Design) vor, die verwendet wurden die Frage oder das Problem zu erkunden. Diese Diskussion dient dem Ziel Methoden abzuwägen und die Entscheidung für bestimmte Methoden zu begründen.

John Langrish hat auch eine klare Vorstellung vom Umfang der einzelnen Teile der Dissertation: Der Überblick über die Arbeit anderer: 70 Seiten. Methodologie 30 Seiten. Was man selbst gemacht hat incl. der Ergebnisse: 150 Seiten. Schlussfolgerungen, Analyse, kritische Reflektion: 40 Seiten. Gesamt: 290 Seiten. Dies mag jedoch von Institution zu Institution verschieden sein.
Er betont das der Ph.D. ein Abschluss sei der in allen Bereichen der Hochschule angeboten werde. Von den Künsten und Wissenschaften bis hin zum Management und Musik gäbe es PhDs. Wenn es also um den PhD geht, seien Kunst und Design nicht frei zu entscheiden was sie tun wollten. Es gelte zu akzeptieren das andere bereits bestimmte Normen und Masstäbe gesetzt haben die sich in den vergangenen Jahrzehnten weltweit durchgesetzt haben. Wollten Kunst und Design eigene Normen anwenden dürften sie diesen Abschluss jedoch nicht PhD nennen. Ratsam wäre dies jedoch nicht, da sich durch die Umsetzung des Bologna-Prozesses der PhD als anerkannter Abschluss nach BA und MA universell durchsetzen wird. (Mein Kollege Steven Adams (HERTS) hat PhD Arbeiten verglichen und unter anderem herausgefunden das durchschnittlich circa 180 Quellen zitiert werden.)

Das Verhältnis von Theorie und Praxis und die Rolle des Schreibens

Zuerst gilt festzuhalten das es für praktische Arbeit alleine keinen PhD gibt. Mindestens gefordert sind eine Dokumentation, kritische schriftliche Reflexion und Diskussion des Arguments durch die das in der Arbeit enthaltene Wissen explizit und kommunizierbar wird. Zudem muss der Text zeigen das die Ph.D. Forschungsarbeit originär, gründlich, umfassend, kritisch, systematisch und ehrlich* durchgeführt wurde. Dies ist mit dem Begriff 'rigoros' gemeint. Zwar werden in Kunst und Design Arbeiten auch ausgestellt, überwiegend jedoch wird das Wissen in schriftlicher Form auf Konferenzen und in Journalen mit der disziplinären Forschungsgemeinschaft geteilt. Das Schreiben ist hierbei immer noch eine elementare wissenschaftliche Bedingung. Auch unter dem Hinblick das eine Ausstellung einmal endet oder ein Artefakt, mehr noch als ein Text, durch den Lauf der Zeit und örtliche Veränderungen seine Bedeutung verändert ist das Artefakt weniger eindeutig als ein Text.

In der Regel generieren wissenschaftliche Disziplinen ihre eigene Theorie und Wissensaustausch. Physiker schreiben über Physik, Biologen über Biologie. Die Forschungsergebnisse werden auf Konferenzen vorgestellt, in Fachjournalen publiziert, und damit den Fachkollegen zur Diskussion vorgestellt. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich so bestimmte disziplinäre Argumentations- und Forschungsweisen, Arten des Schreibens, des praktischen und methodischen Vorgehens kanonisch etabliert, besonders was innerhalb der jeweiligen Disziplin als gültiger 'Beweis' akzeptiert wird. In Kunst und Design ist die Präsentation und Publikation von Forschungsergebnissen jedoch noch die Ausnahme, da akademische Designforscher im deutschsprachigen Raum erst damit beginnen sich wissenschaftlich zu etablieren. Dies mag historische Gründe haben, jedoch sind Texte von Künstlern und Designern die sich kritisch, systematisch und reflexiv mit Ihrem Werk und dessen Entstehungsprozess auseinandersetzten, mit dem Ziel neues Wissen zu schaffen und dadurch zu einer disziplinären Diskussion beizutragen, immer noch die Ausnahme als die Regel. Donald Schön hat dies als die ‘Krise des professionellen Wissens’ bezeichnet und sich in seiner Forschung dafür interessiert was Architekten, Psychotherapeuten, Ingenieure, Planer oder Manager tatsächlich in ihrer Praxis ausüben. Michael Polanyi brachte dies auf den Punkt mit seiner Aussage ‘wir wissen mehr als wir sagen können’ (Polanyi, 1946). So hat Stradivari mit Sicherheit kompetente Forschung betrieben um immer besser klingende Violinen zu produzieren, leider jedoch scheint er sich nie die Zeit genommen zu haben diesen Prozess schriftlich zu dokumentieren. Damit ging dieses Wissen verloren.

Universitäten, so Donald Schön, seien einer bestimmten Epistemologie verpflichtet, die eine 'selektive Unaufmerksamkeit pflege' (Schon, 1983, vii). Sein Interesse galt nun herauszufinden wie es Fachleuten gelang durch die Ausübung ihrer Praxis zu neuem Wissen zu gelangen und dieses zu lernen. Schön war der Überzeugung das diese Art von fachmännischem Wissen besonders in Situationen auftrat die unklar, instabil, und einzigartig waren und in denen es zu Konflikten von Werten kam. Analytische Methoden konnten hier nur begrenzt helfen. Probleme waren miteinander verbunden, voneinander Abhängig, Zustände chaotisch und ständig in Bewegung. Aus diesen Gründen seien sythetisierende Fertigkeiten notwendig um wünschenswerte Ziele oder Zukünfte zu entwerfen und umzusetzen.

Schön schreibt: "Wenn es wahr ist das die fachmännische Praxis mindestens genau so viel damit zu tun hat das bestimmte Problem zu finden wie es zu lösen, dann ist es ebenso wahr das die Fähigkeit Problemstellungen zu ermitteln eine anerkannte fachmännische Aktivität ist." (Schon, 18) (Übersetzung des Autors)

Fachleute reflektieren nicht nur über vergangene Aktivitäten um sich auf die Zukunft vorzubereiten, sondern sie reflektieren auch während einer Aktionen. Reflektion in Aktion habe einen zentralen Stellenwert in der Kunstfertigkeit mit der Fachleute auf die Probleme und divergierenden Situationen der Praxis reagierten und im Zuge neue Arten der Problemstellung definierten in dem sie die Situation durch neue 'Experimentelle Rahmenbedingungen' betrachteten. (Schon, 62, 63)

Auch in Kunst und Design ist dies nicht anders. In der Regel sehen wir nur das fertige Werk, jedoch nicht die Zwischenschritte, Entwürfe, kritischen Gedanken und Prozesse die zu dem Resultat geführt haben. In der klassischen Forschung werden die einzelnen Schritte, Beobachtungen, Instrumente, Ergebnisse und Analyse festgehalten und bilden Teil des kommunizierten Wissens. In den klassischen Wissenschaften kommt dieses Wissen in Form von Texten die mit der jeweiligen Disziplin eigenen Notationen, Abbildungen, Zeichnungen, Skizzen, Diagrammen, Formeln oder anderen visuellen Hilfsmitteln versehen sind. Formal folgen die Texte einem bestimmten Aufbau und inhaltlich bestimmten Argumentationsweisen. Disziplinäres Wissen stammt nicht von Disziplinsfremden sondern wird überwiegend von Mitgliedern der Disziplin selbst produziert. (Was nicht dokumentiert wird sind womöglich die intuitiven Prozesse die zur Problemformulierung und Erkennung beigetragen haben, aber auch die klassischen Wissenschaften unterlassen dies.)

Um akademisch akzeptiert zu werden könnte man also sagen das Forschung in Kunst und Design erst durch das schriftliche (oft illustrierte) Reflektieren zur eigentlichen Forschung wird. Diese Forschung wird kommuniziert indem Wissen explizit gemacht und den Mitgliedern der Disziplin zur Diskussion gestellt wird. Man könnte argumentieren das dieses Wissen ebenso im Artefakt selbst enthalten sein mag, jedoch nur implizit und durch diese Uneindeutigkeit ist es verschiedensten Interpretationen unterworfen.

So wie sich historisch Konventionen etabliert haben was als Forschung in Disziplinen wie Physik, Chemie, Literatur- oder Sozialwissenschaften akzeptiert wird und welche Formen gültiges Wissen annehmen kann, so sind die Forscher in Kunst und Design gerade dabei sich jene Konventionen zu erarbeiten. Wie bei allen akademischen Disziplinen wird dabei eine disziplinäre, idiomatische Form des Schreibens eine Rolle spielen in der praktisches Vorgehen und Theoriebildung verknüpft werden.

Vielleicht lässt sich dieses Verhältnis von praktischem Vorgehen und Theoriebildung am konkreten Beispiel eines Promotionsvorhabens verdeutlichen. Die Designforschung von Graham Whiteley (Rust, C. Whiteley, G. Wilson, A (2000)), Doktorand am Art and Design Reseach Centre der Sheffield Hallam University, hatte zum Ziel ein getreues bewegliches Modell eines menschlichen Arms für ein animatronisches Museumsexponat zu entwickeln. Hierzu untersuchte er eine Reihe von Armprothesen, stelle jedoch fest das kein Modell existierte das realistische Bewegungsabläufe ermöglichte. Zielsetzung des Forschungsvorhabens wurde nun mechanische Designprinzipien zu entdecken und an Modellen zu demonstrieren die einen menschlichen Skelettarm in seinen Bewegungen beschreiben konnten. Hierbei ging es nicht um die Entwicklung einer Armprothese sondern um die Darstellung der Prinzipien seiner mechanischen Funktion. Im Verlauf von drei Jahren entwickelte Graham eine Serie von zyklischen Iterationen von Armmodellen die in Elastizität und Bewegungsradien immer getreuer denen eines menschlichen Armes entsprachen. Dabei berief er sich auf seine Erfahrung im Animatronikbau und handwerklichem Geschick als Designer und kollaborierte mit Chirurgen die mit den qualitativen Aspekten des Widerstands von Muskeln und Sehnen, und Bewegungsradien sehr vertraut waren. Nachdem er ein befriedigendes Modell geschaffen und getestet hatte ging er an das ausarbeiten der schriftlichen Dissertation. Zu diesem Zeitpunkt hatte Graham mehr Zeit in der Werkstatt mit der Herstellung verbracht als mit dem verfassen von Texten. So verfügte er über viele Notizen und Zeichnungen hatte bis dahin jedoch wenig, die von Iteration zu Iteration, notwendigen Anforderungen und Eigenschaften im Detail systematisch schriftlich dokumentiert. Die Entwicklung der Anforderungen und Eigenschaften geschah im handwerklichen Prozess und im Umgang mit dem Material. Was ihm zur Verfügung stand war die Vielzahl der von ihm gebauten und verworfenen Modellen. Diese Sammlung erlaubte eine Chronologie der aufeinanderfolgenden Entwürfe und deren schrittweisen Veränderungen zu entwickeln. Da er diese selbst entworfen und zum Grossteil auch selbst hergestellt hatte konnte er im Detail die jeweiligen Modifikationen und zugrundeliegenden Überlegungen, von Iteration zu Iteration, rekonstruieren. Das Wissen war in den Artefakten selbst enthalten und diese dienten ihm nun, als deren Designer, dazu das enthaltene, implizite Wissen herauszulösen und explizit zu kommunizieren. Mit Hilfe dieser Methode gelang es den oft intuitiven und von handwerklichem Geschick geleiteten Forschungsprozess explizit zu machen und zu dokumentieren.

Wie in diesem Beispiel erwächst in der akademischen Forschung in Kunst und Design Theorie oft dem eigentlichen Arbeitsprozess praktizierender Künstlern und Designern und setzt sich kritisch mit den Prozessen des Entwerfens, dem Formulieren von Problemen, Prinzipien, Werkzeugen, der Ästhetik, Materialien, deren Wirkung usw. auseinander. Das Schreiben stellt hier einmal eine Methode zur kritischen Reflexion dar, und dazu implizites Wissen explizit zu machen. In diesem Sinne entwächst die Theorie der Praxis, und beide informieren sich gegenseitig im Verlauf des Forschungsprozesses. (Dies wird sehr gut deutlich am Beispiel von Bill Violas Textsammlung “Reasons for Knocking at an Empty House: Writings 1973-1994”. Es erlaubt einen tiefen Einblick in dessen Methodologie und Methoden die seine Arbeit deutlich als Forschung qualifizieren - wenn auch nicht unbedingt als wissenschaftliches Arbeiten.)

Mein eigener Ph.D. Forschungsprozess begann mit einer Beobachtung die eine Forschungsfrage und ein Forschungsproblem aufwarf und in eine Hypothese mündete. Die entwickelte Arbeit wurde auf der einen Seite ein Instrument zum testen dieser Hypothese und gleichzeitig auch ein Werk an sich, eine immersive telematische Installation die öffentlich ausgestellt wurde. (Man spricht hier von den 'zwei Hüten' die man abwechselnd trägt: Den des praktischen Machers, und den des wissenschaftlichen Beobachters.) In mehreren Iterationen und Ausstellungen wurde die Arbeit mit Besuchern getestet und deren Erfahrungen qualitative erfasst und analysiert. Durch diese Analyse ergaben sich unerwartet deutliche Einsichten in eine Reihe von Erlebnisfaktoren der interaktiven Installation und eine Reihe konkreter Einsichten wie die Installation geändert werden könnte im Sinne der gewünschten Erlebnisfaktoren. Ohne die verschiedenen Iterationen des Entwurfs und die aufwändige Analyse qualitativer Daten wäre diese Reihe von profunden und transferierbaren Einsichten nicht möglich gewesen.

In der Motivation zum Schreiben in Kunst und Design könnte man von zwei verschiedenen Herangehensweisen oder Motivationen sprechen. Der grosse Unterschied, so Ranulph Glanville (Glanville, 2011), bestehe zwischen jenen die theoretisieren wollen und [Kunst und] Design als bequemes Vehikel hierzu benutzten, und jenen die entwerfen wollen und Möglichkeiten suchen diesen Vorgang zu erkunden. Es ist anzunehmen das es dabei fliessende Übergänge gibt.
Für einige besteht Forschung überwiegend aus dem lesen von Texten und dem Schreiben, für andere aus praktischen Experimenten und deren schriftlicher Dokumentation und kritischen Reflexion. Jede Forscherin entscheidet selbst in welcher Gewichtung sich theoretischer Anteil und praktischer Anteil gegenseitig prägen und durchdringen um das Argument zu transportieren, das Forschungsproblem oder die Forschungsfrage zu erkunden.

Eine Dissertation kann zum Beispiel sehr technisch sein und im Detail konkrete Erfindungen, neue Materialien oder Prozesse beschreiben, andere Forscher hingegen fokussieren auf Methoden oder Methodologien, wieder andere betrachten die praktische Arbeit als instrumentell im Sinne eine Hypothese zu testen, während andere die praktische Arbeit als Medium für theoretische, philosophische Reflexion nutzen. Möglicherweise gibt es soviele verschiedene legitime Ansätze zur Forschung in Kunst und Design wie es Kunst- und Designforscherinnen gibt.

Meiner Erfahrung nach ist es jedoch wichtig sicher zu stellen das der theoretische Teil nicht als abstraktes Konstrukt der Arbeit ‘übergestülpt’ wird sondern sich Theorie und Praxis inhaltlich gemeinsam im Verlauf des Forschungsprozesses entwickeln. Ich denke diese inhaltliche Verschränkung von Theorie und Praxis kennzeichnet Ph.D. Forschung. Im Zentrum eines Ph.D. steht immer die Praxis, hierzu wurde der Ph.D. konzipiert, um praktischen Berufen zu ermöglichen ihr Wissen ('Wir wissen mehr als wir sagen können") zu erkunden, kritisch zu reflektieren, und der disziplinären Gemeinschaft zur Diskussion zu stellen.

Da hierzulande der direkte Bezug zur Praxis in der Designforschung oft vernachlässigt wurde sehe ich Forschung die uns hilft Vorgänge und Methoden der Praxis besser zu verstehen als besonders wichtig an. In Kunst und Design gibt es einen dramatischen Mangel an Klarheit über Methoden und Methodologien zur Ph.D. Forschung, was in der Regel dazu führt das essentielle Teile der Methodologie sowie bestimmter Methoden aus anderen Disziplinen adoptiert werden. Für die Zukunft der Forschung in Kunst und Design wäre es also wichtig eigenständige Methoden und Methodologien zu formulieren und deren Stärken und Grenzen zu diskutieren. Die richtigen Fragen zeigen uns hier sicherlich mehr auf, als mögliche Antworten. Wolfgang Jonas (Jonas, 2007) hebt allerdings hervor das eine eindeutige Unterscheidung zwischen Design, Designmethodik, Designforschung und Designforschungsmethodik schwer möglich sei, da diese nicht scharf getrennt seien.

Was ist eine Methodologie?

Ein Rahmen aus Prinzipien, Prozeduren und Methoden deren Zusammenstellung sachkundig von einer relevanten Theorie oder Philosophie (Epistemologie, Ontologie) informiert wurde, und der wiederum selbst einen kritischen, reflexiven und analytischen Gegenstand des Wissens darstellen kann. Zu den Disziplinen aus denen Methoden oft adoptiert werden gehören unter anderem Anthropologie, Psychologie oder verschiedene Sozialwissenschaften.

Zur Methodologie gehört wie man das Forschungsthema theoretisch verortet und sie wiederum beeinflusst auch die Wahl er Methoden. Dies liest sich komplizierter an als es ist, da in der Regel Forscher zuerst Methoden wählen (z.B. visuelle Methoden, Forschungstagebuch, Interviews, Skizzen, Modellbau) die sie als angemessen erachten die Forschungsfrage zu beantworten - und die Wahl der Methodologie folgt in der Regel später wenn die (epistemologisch-philosophischen) Hintergründe der Methoden recherchiert werden. Oft sind Methoden an solche Methdologien geknüpft. Man könnte sagen das Künstler und Designer, ähnlich wie Molières Herr Jourdain der aufgeregt erkennt das er seit vierzig Jahren Prosa spricht, ständig ‘Methoden’ in der Ausübung ihrer Praxis verwenden sich dieser als solcher nur nicht bewusst sind.

In seinem Buch “Design Methods” von 1970 macht John Chris Jones darauf aufmerksam das Methodologien ‘rein symbolische Erfindungen’ seien, die ihren Wert verlören wenn sie nicht die persönlichen Belange der Betroffenen in Betracht zögen. Die neuen Terminologien und Prozeduren des Entwerfens und Planens, so Jones, verlören ihren Realitätsbezug und ihre Gültigkeit sobald sie es unterliessen die persönlichen Belange derjenigen Menschen mit einzubeziehen die tatsächlich betroffen seien. Methodologie solle keine starre Bahn sein die zu einem unverrückbaren Ziel führe, sondern eine Konversation über all jene Dinge die im Bereich des Machbaren lägen. Die Sprache in der diese Konversation geführt werde müsse den logischen Abstand zwischen Vergangenheit und Zukunft überbrücken, ohne dabei die Vielfalt jener möglichen Zukünfte einzuschränken die diskutiert werden, noch sollte sie eine Zukunft erzwingen die unfrei sei. Wenn die ersten Versuche mit einer Design Methodologie zu starr ausfallen, müsse man sie nur etwas entspannen und nicht verwerfen. Ein erweiterter und integrativer Designprozess sollte einer sein in dem sich Starrheit und Beweglichkeit im Ausgleich befinden. (Jones, 1992, 73) (Übersetzung des Autors)

Bei der Auswahl von Methoden und Methodologien sollte man darauf achten das diese erprobt sind. Möglicherweise sind Methoden die in der beruflichen Praxis als angemessen und erfolgreich gelten in einem rigorosen akademischen Forschungskontext weniger angemessen. Zu diesen und anderen relevanten Themen sollten Hochschulen Kurse für Doktoranden in Kunst und Design anbieten und Doktoranden motivieren ihren Forschungsprozess zu dokumentieren und im Rahmen von regelmässigen Kolloquien, informellen Treffen sowie auf Konferenzen zu präsentieren.

Fussnoten:


* 'ehrlich': Laut Ranulph Glanville ist damit gemeint das es Mühe kostet kritisch zu bleiben und man unbewusst dazu tendiert Indizien die der eigenen Hypothese widersprechen zu ignorieren. Auch Darwin hat erwähnt wie leicht er Indizien die seiner Theorie widersprachen, 'übersah' und es unterliess Notizen zu machen. Er zwang sich zu grosser Disziplin um diese zu notieren. Siehe auch 'confirmation bias'.

Quellen:

Frayling, Christopher (1993), Research in Art and Design, RCA Research Papers, London
Glanville, Ranulph (2011), persönlicher Austausch
Jonas, Wolfgang (2007), Design Research and its Meaning to the Methodological Development of the Discipline, in: Design Research Now, Basel
Jones, J. Chris (1970), Design Methods, New York
Langrish, John (2000), Not everything made of steel is a battleship, Manchester
Langrish, John (2007), What is a PhD in Art & Design
Rust, Chris, Whiteley, Graham, Wilson, Adrian (2000), Experimental Making in Multi-Disciplinary Research, Design Journal, London
Schon, Donald A. (1983), The Reflective Practitioner How Professionals Think in Action, Basic Books.
Viola, Bill (1995), Reasons for Knocking at an Empty House: Writings 1973-1994, MIT Press
M. J. de Vries, N. Cross and D. P. Grant (Eds.) 1993, Design Methodology and Relationships
with Science. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers.
Whiteley, Paul Graham (2000), An articulated skeletal analogy of the human upper-limb, doctoral thesis, Sheffield

letzte Änderungen: 8.1.02019 16:21

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